Das Magnificat-Gen I
„Der Unfehlbare – Pius IX und die Erfindung des Katholizismus im 19. Jahrhundert“, ist eines der Bücher, die ich in letzter Zeit gelesen habe. Meine derzeitige Lektüreauswahl hat viel mit meiner Mitarbeit im Forum Frauen des Synodalen Wegs zu tun. Als Vorbereitung für die Regionalversammlungen am 04.09.2020 habe ich in einer Redaktionsgruppe an einem Text gearbeitet, der dort beraten wird. Die Zulassung von Frauen zur Priesterweihe kommt in diesem Teil noch nicht vor – wohl aber z.B. die Forderung, dass qualifizierte Nichtkleriker_innen in der Eucharistiefeier nach dem Evangelium predigen sollen. Nicht als Notlösung, sondern erwünscht, weil sie es können! Ich selbst habe das übrigens mehrere Jahre lang gerne und voll akzeptiert getan.
Schon diese Kleinigkeit wird bei einer Minderheit im Synodalen Weg Widerspruch auslösen. Vehement ablehnen werden diese dann auch die Priesterinnenweihe, die in einem weiteren Teil des Gesamttextes zur Sprache kommen wird. Sie sehen sie als unerfüllbare Maximalforderung und begründen dies mit uralten, ewig wiedergekäuten, schlechten Argumenten (Literaturtipps dazu kann ich gerne geben). Leider betrachten auch manche Befürworter diesen Punkt als Maximalforderung. Darunter sind Bischöfe, die zwar Offenheit signalisieren, jedoch keine Positionierung wagen. Meine Haltung ist klar: schon rein aus Gründen der Gleichberechtigung muss es eine Selbstverständlichkeit sein, dass kath. Frauen dieselben Möglichkeiten haben wie Männer. Die Priesterinnenweihe sehe ich als Zwischenschritt. Die Frage dahinter lautet: Inwieweit taugt das hierarchisch-klerikale Konstrukt der kath. Kirche noch dazu, die Botschaft des Evangeliums erfahrbar zu machen? Ein nüchternes Hinterfragen der historischen Entwicklung des katholischen Lehramtes und auch des Kirchenrechts ist notwendig.
Rückwärtsgewandte Katholikale streben gut vernetzt und sehr aktiv das Gegenteil an. Sie vertreten das Kirchenbild, das im 19.Jhd. erfunden wurde. Wenn ich lese und höre, was sie sagen, dann ist offensichtlich: Die Spaltung, die die freundlichen, aber besorgten Bischöfe verhindern wollen, ist längst vorhanden. Ein Konsens wird nicht möglich sein, Konfrontation ist notwendig.
Der Anlass für den Synodalen Weg war die MHG-Studie, also sexueller Missbrauch und dessen Vertuschung. Dies ist bei den Synodalen im Bewusstsein und das ist gut so. Was mich derzeit jedoch besonders beschäftigt ist ein Teilaspekt von Missbrauch, der zu wenig zur Sprache kommt: der geistliche Missbrauch. Diejenigen, die den Synodalen Weg vehement bekämpfen haben tatsächlich oft den Katechismus, der sagt, was ein ordentlicher Katholik zu glauben und zu tun hat und der gleichzeitig in Vielem in Theorie und Praxis völlig aus der Zeit gefallen ist, auf ihrer Seite. Ein Rückfall in eine vorkonziliare religiöse Erziehung ist gefährlich. Religion kann Schaden anrichten. Ein Ignorieren solcher Bestrebungen reicht nicht aus. Wir, die wir die christliche Botschaft als Angebot verstehen, müssen Kinder, Jugendliche und evtl. auch Erwachsene vor schädlicher Indoktrination schützen. Es reicht nicht aus, sich für das Frauenpriestertum, für Relativierung klerikaler Macht, für ein zeitgemäßes Priesterbild und für Wertschätzung unterschiedlicher Formen von Beziehungen und Sexualität einzusetzen. Wir müssen auch Stellung beziehen gegen Klerikalismus von Klerikern und Laien und gegen einen Katechismusgehorsam, der Tür und Tor öffnet für spirituellen Missbrauch. In einem Chat habe ich neulich erzählt, dass mir im kirchlich-beruflichen Kontext mal jemand sagte: „Frau Nagel, Sie haben keinen Sinn für Hierarchie!“ Ich ergänzte, dass ich da bei mir einen Gendefekt vermute. Ein Kommentator schrieb: „Gratuliere! Sie haben das Magnificat-Gen!“
Regina Nagel