„Der Kirche im Bistum Speyer eine neue Gestalt geben“

Ein Gespräch über die Vision des Bistums und das Einsparziel in Höhe von 30 Millionen Euro im Strategieprozess

Ober Reihe (von links): Andreas Sturm und Gabriele Kemper, untere Reihe: Peter Schappert und Hans-Peter Gans 

Speyer. Das Bistum Speyer will seine Vision von den SEGENSORTEN in die Tat umsetzen. Gleichzeitig müssen die jährlichen Ausgaben des Bistums bis zum Jahr 2030 inflationsbereinigt um 30 Millionen Euro reduziert werden. Wie das eine mit dem anderen zusammengeht, erläutern im Gespräch Generalvikar Andreas Sturm, Diözesan-Ökonom Peter Schappert, die Vorsitzende der Diözesanversammlung Gabriele Kemper und Hans-Peter Gans, Mitglied im Diözesansteuerrat.

Herr Sturm, Sie hatten immer wieder betont, dass durch den Strategieprozess ein nachhaltig ausgeglichener Haushalt erreicht werden soll. Inzwischen gibt es dafür eine konkrete Zielgröße: Das Bistum muss seine jährlichen Ausgaben bis zum Jahr 2030 inflationsbereinigt um 30 Millionen Euro reduzieren. Wie ging es Ihnen, als Sie die Zahl und damit die Größe der Aufgabe erstmals so richtig ermessen konnten?

Andreas Sturm: Die 30 Millionen Ausgabenreduzierung sind sehr herausfordernd und werden sicher keine leichte Aufgabe. Auf der anderen Seite ist das Thema ja nicht neu. Schon seit vielen Jahren ist klar, dass wir der Kirche im Bistum Speyer eine neue Gestalt geben müssen, um mit der nach wie vor aktuellen Botschaft des Evangeliums Antworten auf die Fragen im 21. Jahrhundert zu geben. Mit der Vision der SEGENSORTE haben wir einen wichtigen Schritt getan, um die Botschaft vom Reich Gottes konkret in das Hier und Heute unserer Diözese zu übersetzen. Die Arbeit an der Umsetzung unserer Vision hat eine spirituelle und theologische Seite, wird aber auch in ökonomischen Zahlen greifbar. Wir brauchen die Reduzierung unserer Ausgaben vor allem auch, um Raum für innovative und kreative Ideen zu schaffen. Dazu wollen wir die Vision nun schrittweise immer mehr Wirklichkeit werden lassen. Natürlich bedeutet das auch ökonomische Veränderungen.

Frau Kemper, wie ging es Ihnen, als Sie die Zahl das erste Mal gehört haben?

Gabriele Kemper: Vor dem Hintergrund der hohen Einsparsumme wird es eine Herausforderung für unseren Zusammenhalt und unsere Kommunikationskultur sein, eine gute Balance zwischen Seelsorge und ökonomischer Realität herzustellen. Wir werden von Traditionen Abschied nehmen müssen, aber es werden sich neue Türen öffnen, die es uns ermöglichen, mit geringerem Budget gute pastorale Arbeit zu leisten. Die notwendigen Veränderungen werden allerdings nur dann gut gelingen, wenn die Diözesanversammlung in die Entscheidungen dieses Prozesses gut eingebunden wird.

Herr Schappert, wie kommt es zu dieser Zahl von 30 Millionen Euro?

Peter Schappert: Die Einsparsumme von 30 Millionen Euro hat drei Grundlagen. Zum einen liegen unsere derzeitigen dauernden Haushaltsausgaben bei circa 170 Millionen Euro pro Jahr. Hinzu kommt zweitens, dass die zukünftigen Einnahmen aufgrund der Prognosen der Freiburger Studie zu Kirchenzugehörigkeit und Kirchensteuer in den nächsten Jahren stetig um bis zu 2 Prozent jährlich sinken werden. Bis zum Jahr 2030 wird sich hieraus eine jährliche Finanzierungslücke von circa 30 Millionen Euro ergeben. In diese Schätzung einbezogen ist die möglichst genaue Vorausberechnung aller variablen Faktoren wie zum Beispiel des veränderten Personalbestandes in der Seelsorge. Als Drittes gilt schließlich, dass nach Beschluss des Diözesansteuerrates über den Ausgleich der Finanzierungslücke hinaus der derzeitige Eigenkapitalbestand von circa 105 Millionen Euro dem Wert nach als Mindest-Krisenausstattung – wie zum Beispiel für die derzeitige Corona-Krise – zu erhalten ist. Das bedeutet, dass der Diözesanhaushalt auf Dauer im Schnitt einen positiven Ertrag in der Höhe des Inflationsverlustes beim Eigenkapital erwirtschaften soll.

Herr Gans, der Diözesansteuerrat hat die Vorgabe gemacht, dass das Eigenkapital der Diözese in den künftigen Jahreshaushalten im Wert erhalten werden soll. Das bedeutet, dass ein Jahresergebnis zumindest in Höhe des Inflationsausgleichs erzielt werden muss. Können Sie mir erklären, welche Überlegung hinter dieser Vorgabe steht?

Hans-Peter Gans: Mein Blickpunkt als Vertreter des Diözesansteuerrats ist die Beurteilung der gesamtwirtschaftlichen Situation unter Berücksichtigung des Seelsorgeauftrags. Hierbei sollte die Kirche als Non-Profit-Organisation, die dennoch zukunftsorientiert agieren muss, aufgabenbezogen mit den zur Verfügung stehenden Einnahmen haushalten. Dazu gehört es nach allgemeinen betriebswirtschaftlichen Grundsätzen, Vermögenssubstrat nicht zu verzehren, sondern nach Inflationsbereinigung mindestens zu erhalten. Geachtet der veränderten Einnahmesituation ist insbesondere auch die Ausgabenseite anzupassen. Ziel des Steuerrats muss es vor diesem Hintergrund stets sein, einen ausgeglichenen Haushalt anzustreben.

Herr Schappert, die Eigenkapitalausstattung spielt bei der Vorgabe des Diözesansteuerrats eine zentrale Rolle. Wie hoch ist die Eigenkapitalausstattung des Bistums aktuell? Wie lässt sich dieser Wert einordnen im Verhältnis zu anderen Diözesen?

Peter Schappert: Das Eigenkapital jeder Körperschaft ist ihr Risikokapital für schlechte Zeiten. Je nach Aufgabe und Struktur eines Unternehmens oder einer Körperschaft ist seine Höhe zu strukturieren. In der Diözese Speyer sind hier die hohen Personalverantwortungen maßgebend: über den Diözesanhaushalt werden circa 1.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter direkt finanziert; hinzu kommt die indirekte Mitfinanzierung von mehreren tausend weiteren Gehältern – allein im Bereich der Kindertagesstätten sind dies circa 3.500 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Das genannte Risikokapital muss die Diözese bei unerwarteten Einnahmeausfällen in die Lage versetzen, ihre finanziellen Verpflichtungen – zum Beispiel dem Personal gegenüber – eine gewisse Zeit weiter erfüllen zu können.

Unsere seit dem Jahr 2012 konsequent ausgebaute Eigenkapitalausstattung hat es nach diesem Grundsatz gut geleistet, die Einnahmeausfälle in der bisherigen Corona-Zeit zu kompensieren. Dazu ist Eigenkapital da; und für diese und ähnliche Fälle werden wir es in Zukunft auch brauchen. Oder anders gesagt: Eine angemessene Haushaltsführung in einer Diözese mit vergleichbaren Verpflichtungen erfordert eine tragfähige Eigenkapitalausstattung.

Seit der Offenlegung der Diözesanhaushalte in Deutschland lassen sich die Eigenkapitalquoten der Bistümer gut vergleichen, wenn man zusammen mit den Diözesanhaushalten auch noch die Haushalte der Bischöflichen Stühle und der Versorgungsanstalten für Ruhestandsgeistliche betrachtet. Mit einer Eigenkapitalquote von 35,55 Prozent liegt unser Bistum am unteren Rand der Bistumstabelle, die im Schnitt aller veröffentlichten Diözesanhaushalte eine Eigenkapitalquote von 61,47 Prozent für 23 der insgesamt 27 deutschen Diözesen nennt. Für die 10 Diözesen, die der Größe nach am ehesten mit unserem Bistum vergleichbar sind, weist die Tabelle eine Eigenkapitalquote von 52,30 Prozent aus. Das heißt, wir sind vergleichsweise schlecht für etwaige Krisenfälle ausgestattet.

Herr Gans, warum spielt der Erhalt der Eigenkapitalausstattung aus Sicht des Diözesansteuerrats eine so wichtige Rolle?

Hans-Peter Gans: Das Eigenkapital ist die bilanzielle Größe, die den Unterschiedsbetrag zwischen Vermögen und Schulden darstellt. Verschlechtert sich die Eigenkapitalquote, wird Vermögenssubstrat abgebaut. Dies kann langfristig nicht Gegenstand von nachhaltigem Wirtschaften sein.

Herr Sturm, 30 Millionen Euro Ausgabenreduzierung, das ist ein stattlicher Betrag und sicher kein Posten, den man aus der Portokasse finanzieren kann. Wie kann das Bistum dieses Ziel erreichen?

Andreas Sturm: Wir können das nur durch eine grundlegende Neuausrichtung unserer Seelsorge erreichen. Der Kompass dafür sind in meinen Augen die Botschaft des Evangeliums und die Vision des Bistums. Dazu müssen wir unsere Angebote nicht nur inhaltlich so umgestalten, dass Menschen von heute wieder Antworten auf ihre Fragen bei uns finden, sondern wir müssen sie auch vom Umfang her begrenzen, also wieder mehr auf Qualität statt auf Quantität setzen. Der Rückgang der Mitgliederzahlen und damit verbunden der Rückgang des Kirchensteueraufkommens lässt uns gar keine andere Wahl.

Herr Sturm, wäre es nicht auch eine Möglichkeit, einfach eine Reihe kirchlicher Immobilien und Grundstücke zu verkaufen?

Andreas Sturm: Das ist zu kurz gedacht, denn der Verkauf von Immobilien und Grundstücken schafft lediglich Einmaleffekte. Wir brauchen aber nachhaltige und langfristig tragfähige Lösungen. Das erreichen wir nur über eine Anpassung unserer Angebote an die gewandelten Erwartungen der Menschen und die veränderten Rahmenbedingungen.

Frau Kemper, wird die Diözesanversammlung den Weg, den Generalvikar Sturm gerade skizziert hat, so mittragen können?

Gabriele Kemper: Die Diözesanversammlung wird über das Einsparziel ebenso informiert werden wie über die derzeitigen Handlungsfelder im Ordinariat. Auf Basis dieser Fakten sowie der spirituellen Grundlage, die uns die Vision bietet, werden unsere Beratungen tragfähige Ergebnisse erzielen.

Herr Sturm, mit einer Ausgabenreduzierung in Höhe von 30 Millionen Euro bis zum Jahr 2030 hat sich das Bistum ein sehr ambitioniertes Ziel gesetzt. Woher schöpfen Sie die Hoffnung, dass das Bistum dieses Ziel tatsächlich erreichen wird?

Andreas Sturm: Zum einen muss man sehen, dass wir die 30 Millionen Euro ja nicht von heute auf morgen reduzieren müssen. Wir müssen jetzt die Weichen richtig stellen und Entscheidungen treffen, die bis spätestens zum Jahr 2030 kassenwirksam greifen müssen.

Zum anderen bin ich zutiefst davon überzeugt, dass die Kirche auf ihrem Weg durch die Zeit vom Heiligen Geist geleitet wird. Die Kirche ist im Lauf ihrer Geschichte immer wieder durch große Krisen und Umwälzungen gegangen. Darin lag immer auch die Aufforderung neu hinzuschauen und neu zu fragen, was der Glaube für die jeweilige Zeit bedeuten kann. In dem Maß, wie es uns gelingt, uns wieder mehr auf das Wesentliche des Evangeliums zu besinnen, werden wir die Menschen für den Glauben auch wieder begeistern können.

Bericht über die Sitzung des Lenkungskreises mit der Festlegung des Finanzziels